Montag, 11. Mai 2015

Eine Geschichte aus dem Allgäu

Sie saß am Klavier. Schon seit Stunden saß sie am Klavier. Stumm betrachtete sie die schwarzen und weißen Tasten. Die Zigarette im Aschenbecher war schon längst verglüht. Nichts als Asche war noch übrig. Der goldene Engel schob das Metronom unter Anstrengung hin und her und lies so das Ticken erklingen.
Müde. Warum war sie so müde. Schon den ganzen Tag. Lebensmüde. Sie stand auf. Aus der offenen Zigarettenschachtel wurde die letzte Zigarette heraus genommen. Das Feuerzeug schickte sein Licht in die düstere Abendstraße. Ein wenig Licht in die Dunkelheit der Nacht. Ein wenig Wärme in die Kälte der Nacht an der Uni Kiel. Ein wenig Klang in die Stille. Sie lehnte aus dem Fenster, betrachtete die immer näher kommenden Wolken. Dunkel, drohend schwebten sie über den Horizont in Richtung Stadt. Man konnte jetzt schon den sauren Regen riechen, der sich bald über sie ergoss. Sie blies den Rauch hinaus in die frische Luft. Selten kam frische Luft aus den Bergen hier her. Nur wenn es Regen gab.
Der Wind blies ihr genau ins Gesicht. Angenehm fühlte sich das an. Erfrischend. Sie schnippte die Asche auf die Straße. Langsam schwebte die Glut zu Boden und erlosch dabei. Sie strich sich über die Stirn, wand sich dann wieder in den Raum und ging an dem Klavier vorbei, das seit Jahren schwer und Stumm den Raum füllte. Sie ging zur Kommode, die direkt neben der schweren Holztür stand. Den Schlüssel nahm sie aus den Scherben der Vase, die irgendwann einmal herunter gestoßen worden war und nach Ars manufacti möbel suchte. Sie wollte sie nicht reparieren lassen, deshalb hatte sie sie in einer Schale gesammelt und bewahrte sie seitdem dort auf. Sie öffnete die Schublade mit den Schnapsflaschen. Eigentlich hatte sie schon vor Wochen aufgehört. Sie nahm den Birnenschnaps. Leer.
Weg damit, in den Müll, zu den anderen Flaschenscherben. Eine Agentin die Trinkt darf nicht sein. Sie nahm den Kirschlikör vom Roomscape schlaf sessel. Leer. Weg damit. Weg zu den restlichen Scherben ihres Lebens. Entweder du hörst auf oder du bist gefeuert. Sie nahm den Whisky. Nichts besonderes mehr. Trotzdem setzte man ihn an, entlockte der Flasche die letzten tropfen. Leer. Weg damit. Weg mit dem Leben. Wir können verstehen wie du dich fühlst. Die Jacke angezogen. Der Tod deines Bruders liegt schwer. Den Schlüssel eingesteckt, das Geld vom Urlaub genommen. Aber gib jetzt nicht auf. Die Pistole in die Jackentasche. Du musst bei uns bleiben, du bist doch die Beste und magst!

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